Selbständig werden – im Kindergarten und im Umgang mit empirischen Daten

Hat die Betreuungsform in der frühen Kindheit einen Einfluss auf die Selbständigkeit der Kinder beim Kindergarteneintritt? Diese Frage untersuchte Kathrin Bill in ihrer Bachelorarbeit am Institut Primarstufe. Für die Abschlussarbeit griff sie auf empirische Forschungsdaten zurück, die in einem Projekt von Dozentin und Forscherin Tamara Carigiet generiert worden waren. Im Interview erzählt die PHBern-Absolventin, wie sie diese Arbeit erlebt hat und zu welchen Erkenntnissen sie gelangt ist.
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Foto von Kathrin Bill und Tamara Carigiet

Kathrin Bill (links) und Tamara Carigiet

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Frau Bill, in Ihrer Bachelorarbeit vergleichen Sie, wie sich die frühe Betreuungsform auf die Selbständigkeit im Kindergarten auswirkt. Welche Betreuungsformen haben Sie untersucht?
Ich habe die Auswahl anhand der Fragebögen aus dem Forschungsprojekt von Tamara Carigiet vorgenommen. Die Betreuungsformen waren folgende: Kita, Spielgruppe, Tagesfamilie, Au-pair, Babysitter, Bekannte, Verwandte. Dabei zeigte sich, dass die Verwandten (30%), die Spielgruppe (30%) und die Kita (28%) am meisten für die Fremdbetreuung der Kinder eingesetzt werden. Eine genau Auswertung nach Form war allerdings schwierig, denn oft wurden mehrere Betreuungsformen gleichzeitig genutzt.


Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen?
Je häufiger und intensiver Kinder fremdbetreut werden, desto selbständiger werden sie von der Kindergartenlehrperson eingeschätzt. Dies bedeutet also, dass Kinder, welche regelmässig und über mehrere Jahre ausserhalb der Kernfamilie betreut werden, meist selbständiger handeln als Kinder, welche die meiste Zeit zu Hause betreut werden. Das soll aber nicht heissen, dass man sein Kind nun möglichst viel extern betreuen lässt. Das kann auch nachteilige Folgen haben, diese waren jedoch nicht im Fokus meiner Arbeit. Je nach Bereich ist die Selbständigkeit zudem unterschiedlich stark ausgeprägt: Fast alle Kinder können beim Kindergarteneintritt bereits ihre Hände selbständig waschen und allein auf die Toilette gehen, den Weg in den Kindergarten gehen allerdings zwei Drittel meist gemeinsam mit Erwachsenen. Wer das Kind einschätzt, und was für Erwartungen die Erwachsenen an die Kinder haben, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.

Sie haben mit empirischen Forschungsdaten aus dem Projekt Erfolgreich in den Kindergarten von Tamara Carigiet gearbeitet – welche Angaben fanden Sie vor?
An der Studie haben 38 Kindergartenklassen im 1. Kindergartenjahr und 255 Elternteile und Kinder teilgenommen. Der Fragebogen für die Eltern enthielt Fragen zur Familiensituation, Fragen über die Art und Dauer der vorgängigen Betreuung und Fragen zur Selbständigkeit des Kindes. Zusätzlich gab es einen Fragebogen für die Lehrpersonen. Diese haben das Sozialverhalten und die Selbständigkeit eingeschätzt. Ich habe spezifische Fragen beziehungsweise Antworten aus den Fragebögen ausgewählt. Einige Antworten konnte ich eins zu eins übernehmen, bei anderen musste ich neue Kategorien bilden, um damit arbeiten zu können.


Was nehmen Sie mit aus Ihrer Arbeit mit den empirischen Daten?
Es war spannend, die Menge an Daten zu sehen und direkt zu erleben, wie man damit umgeht. Die Ordnung, die Regeln, welche streng eingehalten werden müssen, damit man den Überblick nicht verliert, haben mich beeindruckt. So war es etwa nötig, die Antworten konsequent in ein Raster zu übertragen, auch wenn die Fragebögen nicht vollständig ausgefüllt waren. Mein anfänglich eher geringes Wissen über Excel hat sich während des Arbeitens ziemlich erweitert.


Seit dem August 2020 arbeiten Sie als Kindergartenlehrerin. Welche Einsichten haben Sie durch die Beschäftigung mit dem Thema Selbständigkeit und Betreuung gewonnen?
Damit Kinder gut ausserfamiliär betreut werden können sind Netzwerke wichtig – zwischen Eltern, Lehrpersonen, Kitas, Spielgruppen, Elternvereinen und Gemeinden. So können auch mehr Kinder mit Förderbedarf erreicht werden. Allerdings sollten diese Angebote freiwillig bleiben, finde ich. Denn bereits heute werden von den Kindern, die ja gerade erst vier Jahre alt geworden sind, immense Leistungen erwartet. Anstatt immer mehr zu erwarten, könnte man sich auch fragen: Ist der Kindergarten bereit für die vierjährigen Kinder?

Welche weiteren Kompetenzen haben Sie durch die Bachelorarbeit aufgebaut oder vertieft?
Die Bachelorarbeit habe ich über mehrere Monate neben dem Unterrichten im Kindergarten und den Seminarbesuchen an der PH geschrieben. Ich denke, ich habe dadurch gelernt, meine Ressourcen und meine Zeit gut einzuteilen, was auch im Berufsalltag zentral ist.

Neue Erkenntnisse auch für die Forscherin

Dr. Tamara Carigiet, Dozentin und Forscherin am Institut Primarstufe der PHBern, begrüsst es sehr, wenn Studierende konkrete Forschungserfahrung sammeln können. "Ein Problem selbst anhand von empirischen Daten zu untersuchen hilft dabei, Forschungsprozesse und -ergebnisse im Allgemeinen besser verstehen und einordnen zu können." Sie beobachtet, wie sich die Einstellung zur oft eher kritisch beäugten Forschungsmethodik verändert: "Wenn Studierende erleben, wie die gewählten Annahmen und Methoden die Ergebnisse und deren Interpretation verändern, merken sie, dass die Methodik kein notwendiges Übel, sondern ein wichtiger Mosaikstein im Erkenntnisprozess ist."
Auch die Betreuenden erhalten immer wieder neue Einsichten durch die Arbeit mit Studierenden, sagt Carigiet. "Durch den Austausch erhalte ich indirekt Einblick in den Schulalltag, und erfahre, wo bei den Lehrpersonen der Schuh drückt. Für eine Forscherin ist die Kommunikation mit dem Berufsfeld zentral, denn dadurch eröffnen sich neue Forschungsfragen, und es ergibt sich auch die Möglichkeit, unser Wissen aus Theorie und Forschung zurück ans Berufsfeld zu geben. Kathrin Bill hat für ihre Arbeit zudem gewisse Analysen durchgeführt, die ich selbst noch nicht angeschaut habe, diese haben spannende Ergebnisse geliefert, denen man weiter nachgehen könnte." Aktuell ist bei ihr eine weitere Studentin mit Auswertungen beschäftigt – es geht um die Frage, welche Herausforderungen Eltern beim Schuleintritt wahrnehmen und ob es sich dabei um ähnliche oder andere Probleme handelt als beim Kindergarteneintritt.

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