Ideenset_Schule_frueher_und_heute

Relevanz und Übersicht

Oral History in der Schule

Oral History, die Befragung von Zeitzeugen, hat in den letzten Jahren auch in den Schulen an Bedeutung gewonnen. „Die Lernenden können Erkenntnisse aus Gesprächen mit Zeitzeugen aus der Vergangenheit“ gewinnen, so steht es auch im LP21. Verschiedene Gründe sprechen dafür, die Zeitzeugenbefragung in Form eines Oral History Projektes durchzuführen:
Das Oral-History-Projekt „Wie Schule früher war“ ermöglicht den Lernenden

  • eigenverantwortlich zu arbeiten
  • sich als Teil der gelebten Geschichte wahrzunehmen
  • zu verstehen, wer mit Zeitzeugen gemeint ist
  • sich den Quellenwert von Zeitzeugen zu erschliessen
  • sich im Umgang mit Zeitzeugen zu üben
  • sich Quellen selber zu erschliessen und diese auszuwerten  
  • sich mit der Erforschung von Teilen des Alltagslebens vertraut zu machen
  • erste Erfahrungen mit Forschungsabläufen zu machen
  • Vergleiche anzustellen zwischen der Schule heute und der Schule in der Mitte des letzten Jahrhunderts
  • sich die Arbeitstechnik der verschiedenen Interviewformen anzueignen
  • eigene Medienbeiträge zu produzieren

Zu beachten gilt es, dass die Durchführung des Projektes sehr viel Eigenaktivität von den Lernenden erfordert. Deshalb ist es wichtig, genügend Zeit für die inhaltliche und methodische Vorbereitung der Befragungen einzuplanen. Die Lernenden müssen zudem darauf vorbereitet werden, dass die Zeitzeugen und Zeitzeuginnen keine objektive Geschichte vermitteln und dass sich aus ihren Erzählungen nicht zwingend repräsentative Aussagen ableiten lassen. Die Zeitzeugen und Zeitzeuginnen schildern Schule wie sie früher war aus ihrem persönlichen Blickwinkel. So wird verständlich, dass die Befragten gewisse Sachverhalte vielleicht eben ganz anders darstellen als z.B. die interviewten Lehrpersonen im Schwerpunkt 1 „Wie Schule früher war“ dies tun.

„Wie Schule früher war“ als Thema eines Oral History Projektes

Es gibt viele Themen, die sich für die Methode Oral History mit Lernenden eignen. Es sind Themen, die sie aus ihrer eigenen Lebenswelt kennen, z.B. Alltags- und Regionalgeschichte, die Veränderungen in der Freizeitgestaltung im Laufe der Zeit, Migrationsgeschichten, etwas anspruchsvoller die Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen oder eben auch die Erforschung der Schule wie sie früher war. Für die Wahl dieses Projektthemas sprechen verschiedene Gründe:
Alle Lernende sind Experten, was die Schule heute betrifft. Sie beschäftigen sich wohl oder übel jeden Tag mit Schule. Das Thema liegt also sehr nahe an ihrer Lebenswelt. Viele verfügen schon über ein (zwar oft einseitiges) Vorwissen zur Schule von früher aus Erzählungen ihrer Eltern, Grosseltern, oder sogar Urgrosseltern. Zudem nimmt die Vorarbeit „Erschliessen des historischen Kontexts“ nicht allzu viel Zeit in Anspruch, da es nicht darum geht, die politische Geschichte der Schweiz der Nachkriegszeit aufzuarbeiten, sondern darum, den Lernenden einen Einblick in die 50er, 60er und 70er Jahre zu vermitteln.

Vorstellungen und Vorkenntnisse

Lernende, die mit dem IdeenSet „Wie Schule früher war“ arbeiten, sind Spezialisten und Spezialistinnen im Thema „Schule heute“, haben sie doch schon einige Schuljahre durchlebt. Sie wissen, wie Schule geht, haben gelernt, Unterricht zu bewerten, sie beurteilen Lehrpersonen und - das hat sich mit Hilfe der sozialen Medien in den letzten Jahren ergeben - sie wissen auch, wie Schule anderswo funktioniert. Das natürlich immer aus ihrer Perspektive, aus der Sicht derjenigen, die verpflichtet sind, das Angebot Schule zu nutzen. Über die Institution Schule selber ist in der Regel wenig bekannt: Müssen wir zur Schule gehen? Warum müssen wir zur Schule gehen? Wer bestimmt, dass wir zu Schule gehen müssen? Wer bestimmt, was wir lernen müssen? Wer leitet die Schule? Wer finanziert die Schule? Im Rahmen des IdeenSets „Wie Schule früher war“ werden diese Fragen nicht beantwortet. Wer mit den Lernenden Antworten auf diese Fragen suchen möchte, ist die Arbeit mit dem Lehrmittel Zeitreise 1, Thema 4 „Zusammenleben in der Schweiz“ empfohlen.   
 
Das Wissen über die Schule früher beziehen die Lernenden hauptsächlich aus den Erzählungen der Eltern und Grosseltern, vielleicht auch aus der Literatur, von Youtube-Videos und unzähligen Artikeln im Internet. Auch wenn Erzählungen und Filme ein differenzierteres Bild von „früher“ vermitteln, verbinden die Lernenden die Schule von „früher“ vor allem mit grossen Klassen, Frontalunterricht, Körperstrafen und autoritären Lehrpersonen, die den Schlüsselbund nach unaufmerksamen Kindern werfen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob mit „früher“ die Schule zu Gotthelfs Zeiten, die Zeit um die vordere Jahrhundertwende oder die Schulzeit der Grosseltern gemeint ist.

Erstaunlich ist, wie stark verankert das Thema Körperstrafen im kollektiven Gedächtnis unserer heutigen Gesellschaft ist, obwohl lange nicht alle früheren Lehrer (und wohl noch seltener Lehrerinnen) zu solchen Massnahmen griffen. Das ist in vielen Quellen zur Schulgeschichte belegt und auch den Erzählungen der hier interviewten Lehrpersonen zu entnehmen. Wenn sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer historischen Lektion im Schulmuseum Bern während oder nach dem Unterricht an ihre Schulzeit erinnern, stehen nicht selten Körperstrafen im Mittelpunkt der Erzählungen. Heutige Lernende haben wohl kaum mehr Erfahrungen mit Körperstrafen in der Schule. Trotzdem werden fast nach jeder historischen Lektion Fragen zur Art und zur Häufigkeit von Körperstrafen in früheren Zeiten gestellt.

Seit der Einführung des LP21 wird Schulgeschichte im Unterricht im Zyklus 1 und 2 thematisiert. In Zukunft werden Oberstufenlernende deshalb über mehr Sachkompetenz zur Situation in der Schule von früher verfügen.

Lerngegenstand und thematische Schwerpunkte

Wie Schule früher war*
Videointerviews mit Zeitzeugen

Die Lernenden werden ins Thema "Wie Schule früher war" eingeführt. Im Einführungsvideo/Teaser lernen sie die vier Lehrpersonen kennen. Sie wählen eine Person aus und analysieren das entsprechende Videointerview. 

Oral History Grundlagen
Grundlegendes Verständnis

Im ersten Teil lernen die Lernenden den Begriff "Oral History" kennen. Sie werden mit den Vorgehensschritten der Zeitzeugenbefragung vertraut gemacht. Im zweiten Teil geht es um die Methoden- und Medienkompetenz, um Zeitzeugeninterviews erfolgreich durchzuführen und aufzuzeichnen.

Oral History Projekt
Zeitzeugenbefragung selber durchführen

Die Lernenden bereiten ein Zeitzeugeninterview vor, führen es durch, zeichnen es videografisch auf und werten das Gespräch aus. Die Ergebnisse werden der Klasse präsentiert. Damit das Oral History Projekt gelingen kann, empfiehlt es sich, die beiden Schwerpunkte „Wie Schule früher war" und "Oral History Grundlagen" vorgängig zu behandeln.

Ausserschulischer Lernort*
Besuch einer historischen Lektion

In einer historischen Lektion im Schulmuseum Bern in Köniz erleben die Lernenden eine Schulstunde, wie sie in der Zeit ihrer Grosseltern stattgefunden haben könnte. Sie vergleichen den Unterricht, die Schulstube und die Unterrichtsmaterialien mit der Schule heute.

* Die Schwerpunkte "Wie Schule früher war" und "Ausserschulischer Lernort" können auch einzeln und unabhängig voneinander behandelt werden. 

Lehrplanbezug

  • Die Lernenden können aus Gesprächen mit Zeitzeugen Erkenntnisse über die Vergangenheit gewinnen. (RZG.7.3)
  • Die Lernenden können das Alltagsleben von Menschen in der Schweiz in verschiedenen Jahrhunderten vergleichen. (RZG.5.3)
  • Die Lernenden können sich in monologischen Situationen angemessen und verständlich ausdrücken. (D3.B1)
  • Die Lernenden können sich aktiv an einem Dialog beteiligen. (D.3.C.1)
  • Die Lernenden können Gedanken, Meinungen, Erfahrungen und Wissen in Medienbeiträge umsetzen und unter Einbezug der Gesetze, Regeln und Wertesysteme auch veröffentlichen. (MI.1.3)
  • Überfachlich: Personale, methodische und soziale Kompetenzen.

Historischer Kontext

Im thematischen Schwerpunkt 1 „Wie Schule früher war", bezeichnet „früher“ die Nachkriegszeit bis zu den siebziger Jahren. Das ist die Zeit, in der die Grosseltern der Lernenden zur Schule gingen. Im Mittelpunkt der Unterrichtssequenz stehen die Zeitzeugeninterviews mit vier Lehrpersonen, die in den fünfziger Jahren zu unterrichten begonnen haben. Auch im Schwerpunkt 3 „Oral History Projekt“ geht es um die Schule in dieser Zeitspanne. Die Lernenden führen Zeitzeugeninterview mit Verwandten und/oder Bekannten durch, die vor 1970 eingeschult wurden.

Damit die Zeitzeugeninterviews erfolgreich verlaufen und die Ergebnisse richtig gedeutet werden können, müssen die Lernenden darauf vorbereitet werden. In einem ersten Schritt geht es darum, den historischen Kontext zu erschliessen, in dem das Thema der Untersuchung, hier die Schule in der Nachkriegszeit, angesiedelt ist. Diese Sequenz ist nicht Teil des IdeenSets, liegt also nicht didaktisiert vor. Unten stehend finden sich jedoch Themenvorschläge, Hinweise zu Unterrichtsmaterialien und Links zur Schweiz in der Nachkriegszeit und zur Situation der Schule in den 50er, 60er und 70er Jahren.

Themen könnten sein:
Wirtschaftlicher Aufschwung – technische Neuerungen(z.B. Waschmaschine, erste Fernsehgeräte) – wissenschaftliche Erkenntnisse (Kernenergie) – Errungenschaften in der Medizin (z.B. Antibaby-Pille, Impfung gegen Kinderlähmung) – soziale Sicherheit (z.B. AHV  und IV) – enorme Bautätigkeit (Strassen, Autobahnen, spitäler, Schulen) – Immigration (Gastarbeiter) – Massenmobilisierung und damit Abhängigkeit vom Erdöl – Ölkrise – Umweltverschmutzung (z.B. Waldreinigung durch Schulklassen) – Frauenbewegung (Kampf um das Frauenstimmrecht) – Jugendbewegung (Jugend zwischen Traditionen und Zukunftsvisionen) – Generationenkonflikt – musikalischer Aufbruch: Rock’n’Roll – Mode (Petticoat)

Weiterführendes

Arbeiten Lernende mit Migrationshintergrund mit dem IdeenSet, ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass so wie Schule früher bei uns war, Schule heute im Herkunftsland sein könnte. In Klassendiskussionen müsste deshalb darauf geachtet werden, dass die Schulsysteme zwar beschrieben und vielleicht auch miteinander verglichen werden, aber nicht bewertet oder sogar gegeneinander ausgespielt werden sollten.

Einige Arbeitsblätter enthalten QR-Codes. Damit kann man mit einem mobilen Gerät (Tablet, Smartphone) direkt einen Link öffnen. Dazu muss der Code mit der Kamera-App oder einer speziellen QR-App eingelesen werden und schon wird man auf die entsprechende Website weitergeleitet. Eine Videoanleitung ist hier zu finden.

Das IdeenSet wurde in Zusammenarbeit mit dem Schulmuseum Bern entwickelt. Die Zeitzeugeninterviews wurden mit freundlichen Genehmigung aller Interviewten für schulische Zwecke zur Verfügung gestellt. Fragen und Rückmeldungen zum IdeenSet richten Sie bitte an medienonline.iwd@phbern.ch.