"Die Hochschule ist für den Berufseinstieg mitverantwortlich"

Der Berufseinstieg von Lehrpersonen ist herausfordernd. Daniela Freisler und ihr Team von der PHBern erforschen, wie er erleichtert werden kann. Und nehmen dabei die Pädagogischen Hochschulen noch weiter in die Pflicht.
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Noch nie in der Geschichte der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Kanton Bern war der Anteil an Praktika höher als heute. Trotzdem gestaltet sich der Einstieg in den Beruf immer noch happig. Wie erleben Lehrpersonen diese wichtige berufsbiografische Zeit, und wie kann der Einstieg erleichtert werden? Das untersucht Daniela Freisler von der PHBern in verschie-denen Forschungsprojekten im Schwerpunktprogramm "Berufsbiografien und Professionalisierung von Lehrpersonen". Unter anderem begleitet sie den gesamten  Abschlussjahrgang 2018 des Instituts Vorschulstufe und Primarstufe (IVP) über zwei Jahre hinweg – Forschungsdaten von mehr als 270 Berufseinsteigenden kommen so zusammen.

Zu den befragten Studierenden gehört  Jana Bläsi. Für die 25-jährige Solothurnerin, die in Orpund als Klassenlehrerin einer  3./4. Klasse arbeitet, war der Einstieg in den Lehrberuf ein Sprung ins kalte Wasser. Obwohl sie sich durch das Studium gut vorbereitet gefühlt habe, sei der Einstieg sehr hart gewesen. "Auf einmal die Verantwortung für eine ganze Klasse zu über nehmen, konnte man nicht im Studium lernen", sagt sie.

Gut vorbereitet, aber …
So wie Jana Bläsi ergeht es den vielen Neueinsteigenden, weiss Daniela Freisler dank ihrer Längsschnittstudie: "Mit dem Gefühl, insgesamt gut vorbereitet zu sein, treten die Absolventinnen und Absolven-ten in den Beruf ein. Das erste Jahr sorgt für eine gewisse Relativierung dieser Einschätzung, ab dem zweiten Jahr ist aber bereits eine deutliche Steigerung zu sehen. Die Daten sprechen dafür, dass das Studium an der PHBern insgesamt als hochwertig beurteilt wird und sich die Absolventinnen und Absolventen nach einer gewissen Eingewöhnungszeit auch wirklich im Beruf zurechtfinden", fasst Freisler ihre Daten zusammen.

Einen etwas anderen, sanfteren Einstieg als Jana Bläsi hat Nicolas Guerry eingeschlagen, auch er Klassenlehrer einer 3./4.  Klasse und Teilnehmer an der IVP-Forschungsstudie. "Ich hatte das Glück, bereits während des Studiums einige Stell-vertretungen übernehmen zu können", blickt der Walliser, der in Bern lebt, zurück. Nach Abschluss des Studiums übernahm der heute 27-Jährige während eines Jahres Stellvertretungen an verschiedenen Schulen. Anschliessend trat er an der Stadtber-ner Schule Laubegg seine heutige Klassenlehrerstelle an. "Dieser Einstieg passte für mich."

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Forschung zum Berufseinstieg Education

Nicolas Guerry, Daniela Freisler und Jana Bläsi (v.l.n.r.) vor dem Schulhaus Laubegg  in Bern, wo Nicolas Guerry unterrichtet.

Übergänge fliessend gestalten
Sowohl Jana Bläsi als auch Nicolas Guerry haben Angebote der PHBern zum Berufseinstieg in Anspruch genommen. Nicolas Guerry hat dreimal an der Planungs- und Orientierungswoche teilgenommen, in der sich Junglehrerinnen und Junglehrer gemeinsam auf das Schuljahr vorbereiten. Jana Bläsi hat zusätzlich in einer Praxisbegleitgruppe des Instituts für Weiterbildung und Medienbildung (IWM) mitgemacht: "Den Austausch mit Lehrpersonen und Dozierenden fand ich sehr hilfreich."

Noch weiter geht der Studienbegleitende Berufseinstieg (SBBE): Der im Sommer 2019 lancierte Bachelorstudiengang ver-bindet den vorgezogenen Berufseinstieg mit Veranstaltungen und Begleitangeboten des IVP und des IWM. Der Bachelorstudiengang dauert vier statt drei Jahre: Im dritten und vierten Studienjahr sind die Studierenden im Umfang von 40 bis 50 Prozent an einer Schule tätig, absolvieren dort die letzten Praktika und besuchen parallel dazu Lehrveranstaltungen an der PHBern. "Das Angebot wurde explizit geschaffen, um die Übergangsphase in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit fliessender zu gestalten", erklärt Daniel Steiner, Leiter des IVP. "Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der vorgezogene Berufseinstieg gelingt und die direkte Verknüpfung von Praxis und Studium für alle Beteiligten gewinnbringend ist."

Der Institutsleiter wird von Daniela Freisler regelmässig über den Verlauf der IVP-Forschungsstudie informiert und nimmt die Erkenntnisse gerne auf. "Die im Forschungsprojekt identifizierten Optimie-rungsmöglichkeiten – zum Beispiel im Bereich der Elternarbeit  – decken sich mit Erkenntnissen, die wir auch aus anderen Befragungen haben. Sie fliessen in die laufenden Arbeiten zum neuen Studienplan Primarstufe mit ein."

Hochschulen in der Pflicht
Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis ist man sich einig: Mentorate an den Schulen helfen am meisten beim Berufseinstieg. Nicolas Guerry kann auf eines zurückblicken und war sehr froh darum – Jana Bläsi wusste bereits vor Stellenantritt, dass sie keines haben würde. Dankbar ist sie dem hilfsbereiten Kollegium, das ihr half, das erste Jahr gut zu meistern. "Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, welche Vorteile ein Mentorat bietet: dass man da-durch eine konkrete Ansprechperson hat und immer wieder unkompliziert Unterstützung einholen kann."

Im Kanton Bern fördert die Bildungs- und Kulturdirektion ein Mentoring seit rund drei Jahren mit einem Sonderpool. Längst nicht jede Schule bietet aber eines an. "Aus Sicht der Forschung wäre es wünschenswert, dass Mentoratsprogramme flächen deckend zur Verfügung stünden", sagte Daniela Freisler. "Ein professionalisiertes Mentoring böte weitere Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten für Lehrpersonen und würde zur Attrakti vität des Berufs beitragen." Für eine weitere Etablierung nimmt die  Forscherin auch die Hochschulen in die Pflicht. Denn: "Die Verantwortung einer Hochschule für ihre Studierenden geht über das Ende des  Studiums hinaus!"

Sowohl Jana Bläsi als auch Nicolas Guerry fühlen sich in zwischen gut im Beruf angekommen. Beide betonen, jeden Tag noch Neues hinzuzulernen  – und dies auch zu schätzen.

Während des stressigen ersten Jahres fand es Nicolas Guerry eher mühsam, Daniela Freislers Fragebögen zu beantworten. Inzwischen blickt er milder auf die Forschung: "Die Fragen haben mich gezwungen, mehr über den Berufseinstieg nachzudenken." Jana Bläsi kann sich vorstellen, in Zukunft als Mentorin zu arbeiten – und damit zumindest an der Primarschule Orpund Junglehrerinnen oder Junglehrern das Ankommen zu erleichtern.

Drei Fragen an Daniela Freisler

Was hat Sie bei der Auswertung  der Daten der  Absolventinnen und Absolventen von 2018 am  meisten überrascht?
Dass die Studierenden nach dem ersten Berufsjahr ihre Kompetenzen niedriger einschätzen als zum Ende des Studiums. Das zeigt, wie herausfordernd der Lehrberuf ist, obwohl sich die Studierenden durch das Studium gut vorbereitet fühlen. Erfreulich ist, zu sehen, dass nach einem herausfordernden ersten Berufsjahr in allen abgefragten Handlungsfeldern die Kompetenzeinschätzung stieg.

Im Moment läuft die Überarbeitung der Studienpläne an den Grund-ausbildungsinstituten. Was müssen die neuen Studienpläne unbedingt beinhalten, damit der Berufseinstieg gelingt?
Studiengänge, die eine theoretische und praktische Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Berufs ermöglichen. Sicherheit im Handeln erhalten angehende Lehrpersonen – obwohl in einem "Beziehungsberuf" tätig – nur durch Wissen und Erfahrung. Wissen wird in den Lehrveranstaltungen der Pädagogischen Hochschulen vermittelt, was bereits sehr gut funktioniert. Der Transfer von Wissen in Können soll durch eine möglichst enge persönliche und fachliche Begleitung durch Praxislehrpersonen und Dozierende in den Praktika sichergestellt werden. In den Befragungen geben die Studierenden an, einen noch engeren Austausch mit den Dozierenden über ihre Praxiserfahrungen zu wünschen.

Welcher Frage wenden Sie sich als Nächstes zu?
Als Nächstes plane ich eine Studie zur Begleitung von Lehrerinnen und Lehrern in der Berufseinstiegsphase. Ich möchte die Angebote und Lerngelegenheiten von Hochschulen und Schulen untersuchen, die den Einstieg im herausfordernden ersten Berufsjahr erleichtern und zur Kompetenzentwicklung beitragen.

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