Bessere Arbeit, gerechtere Welt

Das Klassenzimmer ist ein Spiegel der Gesellschaft. Auch bezüglich Heterogenität. Im CAS Diversität als Chance nutzen lernen Lehrpersonen, wie sie (noch) mehr auf ihre Schülerinnen und Schüler eingehen und diese so ihr Potenzial entfalten können.
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Man sieht sie. Mal als einzelnes Merkmal, mal als mehrere. Manchmal aber bleibt sie unsichtbar: Diversität, die Verschiedenheit, das Anderssein. Ihre Facetten und Gesichter – und damit ihre Wahrnehmung und Folgen – sind vielfältig wie das, was sie umfasst. Doch eines eint alles: "Wir müssen das Thema ernst nehmen", sagt Tamasha Bühler, Studienleiterin des CAS Diversität als Chance nutzen an der PHBern. Als Beispiel für Probleme durch sichtbare Unterschiede zwischen Menschen verweist sie auf die Hautfarbe und den jüngsten Rassismusbericht der Fachstelle für Diskriminierung & Rassismus. 2022 wurden dem Beratungsnetz 708 Fälle gemeldet – gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um gut 12 Prozent. Die häufigsten Meldungen betrafen erneut die Bereiche Arbeit und Bildung. "Vor allem in der Schule ist eine grosse Unsicherheit im Umgang mit dem Thema feststellbar. Lehrpersonen wissen häufig nicht, wie sie Rassismus in ihren Klassen behandeln können oder wie sie in einer rassistischen Situation intervenieren sollen", schreibt die Fachstelle auf ihrer Website.

Zu den weniger oder gar nicht wahrnehmbaren Kategorien von Diversität gehört hingegen das soziale Milieu, also die sozioökonomische Herkunft. Dass sozial benachteiligte Kinder ihre Möglichkeiten in der Regel schlechter schulisch umzusetzen vermögen, hat letzten Dezember nicht nur einmal mehr die internationale PISA-Erhebung betont, sondern in der Schweiz etwa auch die Allianz Chance+, die sich nach eigenen Worten "für eine signifikant verbesserte Chancengerechtigkeit im Jugendalter" einsetzt.

Was einen prägt, ist nicht einfach die Norm und allgemeingültig. Anderes ist gleichwertig.
Tamasha Bühler  -  Studienleiterin CAS Diversität als Chance nutzen

Der ungetrübte Blick

Genau darin liegt für Tamasha Bühler die Chance von Diversität. "Als Lehrperson kann man in unserem CAS lernen, seine Arbeit nochmals zu verbessern und zu einer chancengerechten Welt beizutragen." Bedeutet konkret? "Zu einer erfolgreichen schulischen Laufbahn, und zwar unabhängig von allfälligen Nachteilen durch Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Kultur oder andere persönliche Merkmale bzw. Prägungen durch das Elternhaus." Die Weiterbildung setzt auf drei Ebenen an. Erstens der Haltungsebene, dem Hinterfragen der eigenen Normalitätsvorstellungen und den mit ihnen (oft unbewusst) verbundenen Erwartungen, die in Beurteilungen einfliessen. "Was einen prägt, ist nicht einfach die Norm und allgemeingültig. Anderes ist gleichwertig. Sich in andere hineinzuversetzen, lässt sich im Lehrgang durch innere Differenzierung trainieren, um mit dem Fremden vertrauter zu werden", erläutert die Studienleiterin. Innere Differenzierung sei wichtig, wenn die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbrächten. "Für die individuelle Förderung der Kinder werden deshalb verschiedene Themen bearbeitet, differenzierte Methoden eingesetzt und variierende Ziele angestrebt." Zweitens gehe es um die strukturelle Ebene. Lehrpersonen fühlten sich mitunter allein in heterogenen Klassen. Dadurch kämen mögliche Antworten auf Fragen zur Zusammenarbeit im Kollegium sowie zu Ressourcen, Schulentwicklungsprozessen oder der Rolle der Schulleitung ins Spiel.

Der andere Zugang

Die dritte und ebenso entscheidende Ebene, mit der sich die Weiterbildung der PHBern auseinandersetzt, ist die methodische. Bühler erklärt: "Nehmen wir einen Schüler, der Mühe hat, sich zu konzentrieren. In dieser Situation gilt es, achtsam zu beobachten, wann was passiert, um ihn mit seinem Potenzial, seinen Ressourcen sowie seiner Lernweise zu erfassen – beispielsweise durch die Marte-Meo-Methode. Dabei handelt es sich um Videoaufnahmen von Interaktionsmomenten, um das Verhalten zu analysieren und Entwicklungsschritte wahrzunehmen. Im nächsten Schritt braucht es dann Überlegungen, welche didaktischen Methoden zur Entwicklung weiterer Fähigkeiten und letztlich zum schulischen Erfolg führen." Ein solch alternativer Zugang münde vielleicht in eine zusätzliche Aufgabe. Oder in eine Gruppenarbeit oder eine Lernumgebung ausserhalb des Klassenzimmers. Alle drei Ebenen verfolgen eine gemeinsame Zielsetzung: Diskriminierung vermeiden und sämtlichen Kindern dieselbe Basis bieten. "Denn nur im Zusammenspiel der drei kommt man zur Inklusion", unterstreicht Tamasha Bühler.

Nachgefragt bei Nadine Leuthold, CAS-Absolventin

Sie ist Klassenlehrperson für die 4. und 5. Klasse an der Primarschule Einigen: Nadine Leuthold. Und sie hat den CAS Diversität als Chance nutzen besucht. Mit Folgen.

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Nadine Leuthold CAS Diversität als Chance nutzen

Foto: Adrian Moser

Warum haben Sie sich gerade für diese Weiterbildung entschieden?
Nadine Leuthold: In meinem Beruf begegne ich Diversität täglich und in ihrer ganzen Breite. Ich wollte etwas dazulernen, um möglichst allen Kindern gerecht zu werden – besonders auch jenen, die nicht auffallen und denen ich mich deshalb vielleicht ein bisschen weniger zuwende. Wichtig war mir, mich vertieft und vor allem praxisnah mit dem Thema auseinanderzusetzen. Daher meine grossen Erwartungen bezüglich der Umsetzbarkeit des neuen Wissens.

Wurden diese Erwartungen erfüllt?
Ja. Sehr sogar: Was ich am Samstag gelernt hatte, konnte ich am Montag gleich in den Schulalltag einbringen. So hat mir etwa die Intelligenztheorie von Howard Gardner erneut bewusst gemacht, dass es multiple Intelligenzen gibt. Also nicht nur klassische in Mathematik und Sprachen, sondern zum Beispiel auch soziale, körperlich-kinästhetische und bildlich-räumliche. Ich versuche jetzt, diese Intelligenzen regelmässig in meinen Unterricht zu integrieren. Obwohl sie natürlich manchmal mit den traditionellen Leistungsanforderungen in unserem System der Selektion kollidieren und nicht immer alles Wünschbare möglich ist.

Wie hat das Umfeld in Ihrer Schule reagiert?
Die Unterstützung des Schulleiters für meinen CAS war von Anfang an da. Ich bin zwar die Einzige an unserer Schule mit einem CAS zu Diversität. Aber inzwischen gibt es bei uns Nachahmerinnen, die meine Erfahrungen aufnehmen und auf ihren Stufen einbringen.