"Alle fünf Jahre ein CAS wird zur Norm"

Lebenslanges Lernen gewinnt im Berufsfeld Schule weiter an Bedeutung: Weiterbildungen sind fester Bestandteil jeder pädagogischen Laufbahn. Jürg Arpagaus, Leiter des Instituts für Weiterbildung und Medienbildung, über Professionalitätsentwicklung und Resilienz bei Lehrpersonen – und welche Weiterbildung er selbst als nächstes in Angriff nimmt.
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Jürg Arpagaus
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Interview: David Gerber / Foto: Adrian Moser

Was war Ihre letzte Weiterbildung?

Ha (lacht). Ich habe das Gefühl, dass ich mich laufend am Weiterbilden bin. Einerseits indem ich viele Fachbücher, wissenschaftliche Artikel, Blogs und Erfahrungsberichte lese. Andererseits versuche ich in meinem Arbeitsalltag durch das Ausprobieren von Neuem, mich weiterzuentwickeln. Das gehört natürlich alles in den Bereich der informellen Weiterbildung. Meine letzte grössere formelle Weiterbildung war ein Master of Science in Management an der London School of Economics and Political Science, die ich vor zwei Jahren abgeschlossen habe.

Warum sollten sich Lehrpersonen weiterbilden? Sie haben doch das nötige Rüstzeug, um ihren Job gut zu machen, bereits.

Weiterbildung ist nicht gleich Weiterbildung. Neben der Unterscheidung zwischen informeller und organisierter Weiterbildung ist für mich die primäre Motivation sich weiterzubilden ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Bei Lehrpersonen sehe ich mindestens drei Gründe – oder Motivationen – sich weiterzubilden. Bei Lehrpersonen als Professionelle ist erstens die Professionalitätsentwicklung konstituierend. Es ist in der Natur des Lehrberufs, dass Lehrpersonen nach der Grundausbildung als Novizinnen und Novizen in den Beruf einsteigen und sich über die Jahre zu Expertinnen und Experten entwickeln. Diese Professionalitätsentwicklung erfordert reflektierte Praxis, informelle, aber auch spezifische, organisierte Weiterbildungen.

Zweitens müssen sich Lehrpersonen, salopp gesagt, à jour halten: sowohl fachlich und in den Fachdidaktiken wie auch in den Sozial- und Erziehungswissenschaften. Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft und Praxis helfen unabhängig vom Expertinnen-/Expertenstatus bei der täglichen Arbeit als Lehrperson. Drittens ist die Gestaltung der persönlichen Laufbahn ein wichtiger Motor für Weiterbildungen. Und vielleicht viertens: Neues lernen macht doch einfach Freude!

Was macht gute Weiterbildung aus?

Das ist eine schwierige Frage. Weiterbildungen sind sogenannte Vertrauensgüter, deren Qualität weder vor noch während des “Konsums” erfasst oder festgestellt werden können. Eine gute Weiterbildung müsste sich letztlich an der positiven Wirkung bei den Schülerinnen und Schülern zeigen. Das Label “PHBern” steht für Weiterbildungen, die wissenschaftlich fundiert und stark praxisbezogen sind, die von einer inklusiven Schule ausgehen, Diversität, nachhaltige Entwicklung und Digitalität berücksichtigen und den Raum und das Klima schaffen, für sich und von den anderen zu lernen. Das ist für mich gute Weiterbildung.

Im Schuljahr 2020/2021 entfielen ¾ der Teilnehmendenstunden in der Weiterbildung auf "Kursorische Weiterbildung"; 16% auf Weiterbildungslehrgänge mit CAS-, DAS- oder MAS-Abschluss. Was sagt Ihnen diese Statistik?

Das ist eine interessante Statistik und zeigt für mich deutlich den bereits zurückgelegten Weg in der Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Früher gab es fast ausschliesslich kursorische Weiterbildung und sogenannte schulinterne Kurse. Die Nachfrage nach grösseren Weiterbildungen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch in den Formaten einen grösseren Gestaltungsspielraum lassen, hat auch aufgrund des Paradigmas des lebenslangen Lernens in allen Bereichen zugenommen. Ich gehe davon aus, dass künftig Lehrpersonen zunehmend Lernstunden im Rahmen von CAS-, DAS-, und MAS-Lehrgängen leisten werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in fünf Jahren eine Aufteilung von 50:50 haben.

Was sagen Sie einer Lehrperson, die nebst dem vollen Terminkalender und viel persönlichem Engagement nicht auch noch zeitintensive Weiterbildungen besuchen möchte?

Ich würde diesen Lehrpersonen sagen, dass sie in jeder Hinsicht gut zu sich schauen müssen, um den Beruf auch in 10 bis 20 Jahren mit Freude ausüben zu können. Dabei müssen sie einen Weg finden, körperlich und mental gesund sowie "employable" zu bleiben. Weiterbildungen helfen Lehrpersonen genau dabei.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie werden sich Weiterbildungen für Lehrpersonen verändern?

Wie ich schon angesprochen habe, werden einerseits mehr Weiterbildungen im Rahmen von CAS, DAS und MAS besucht werden. Ich persönlich gehe davon aus, dass ein CAS alle fünf Jahre zur Norm werden wird. Zunehmen werden auch massgeschneiderte Weiterbildungen für Teams und ganze Schulen. Bei Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozessen ist es wichtig, dass das ganze Kollegium zusammen lernt und die Entwicklung vorantreibt. Solche Prozesse werden mehr und mehr auch durch Beraterinnen und Berater der PHBern begleitet, die bereits andere solche Projekte unterstützend begleitet haben. Schliesslich werden die digitalen Formate in sehr unterschiedlichen Formen an Bedeutung gewinnen. Wir wollen in den nächsten Jahren den Anteil an Blended- und Online-Angeboten ausbauen.

Was bewirkt eine gute Weiterbildung?

Gute Weiterbildung soll letztlich einen Beitrag dazu leisten, dass alle Schülerinnen und Schüler in einem angenehmen Schulklima so viel wie möglich lernen können, um nach der obligatorischen Schule als verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger aktiv am sozialen, kulturellen, beruflichen und politischen Leben teilhaben können. Weiterbildungen sind aber auch ein Instrument der individuellen Karriere- und Laufbahngestaltung von Lehrpersonen. Sie bewirken also, dass Lehrpersonen ihren Weg durch das Berufsleben gestalten können.

Was haben die Kinder und Jugendlichen davon, wenn ihre Lehrperson sich weiterbildet?

In den USA gab es eine Klage gegen eine Schule mit dem Argument, dass die Schülerinnen und Schüler einen (verfassungsrechtlichen) Anspruch auf gute Lehrpersonen haben. Es wurde dann basierend auf empirischen Daten vorgerechnet, dass die Kinder, die bei unterdurchschnittlich guten Lehrpersonen unterrichtet wurden, bis zu einer viertel Million Dollar an Lebenseinkommen einbüssen. Das ist ein individuell-ökonomisches Argument. Ein viel wichtigeres Argument ist, dass die Schule bei einer Lehrperson, die sich ständig weiterentwickelt und nicht einfach nur Erfahrungen akkumuliert, abwechslungsreicher und lehrreicher ist, mehr Spass macht und gute Beziehungen unter den Schülerinnen und Schüler fördert.   

An welchen Zielen möchten Sie als Leiter des IWM in fünf Jahren gemessen werden?

Für diese Frage ist es noch etwas zu früh. Spontan würde ich sagen: Zufriedenheit der Teilnehmenden und Mitarbeitenden, Vielfalt des Angebots sowie Produktivität und Reputation im Berufsfeld.

Worin bilden Sie sich als nächstes weiter?

Ach, es gibt so viel, was ich noch lernen wollte. In meinem Büchergestell stehen auch noch einige ungelesene Bücher. Bücher wie beispielsweise “Affluence without Abundance. The disappearing world of the bushmen” oder “How China escaped shock therapy. The market reform debate” bilden mich in Bereichen weiter, die mich interessieren, jedoch nicht unmittelbar mit meinem Job zu tun haben. Die nächste formale Weiterbildung wird wahrscheinlich im Bereich “Video-Auftrittskompetenz" sein. Mein Ziel ist es, sicher und authentisch auf Videos zu wirken. Da bin ich noch ein unbedarfter Anfänger.

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Jü

Zur Person

Prof. Dr. Jürg Arpagaus ist seit 1. September 2021 Leiter des Instituts für Weiterbildung und Medienbildung (IWM). Der 59-jährige Bildungssoziologe ist seit rund 20 Jahren im Bildungsbereich tätig, vor allem in der Lehre und Forschung sowie im Bildungsmanagement.