Rahel Mekni - Zitoun

Bildnerisches Gestalten

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„Der erste Tropfen Olivenöl der Ernte von Onkel Jelloul ist der Wertvollste. Das siehst du daran, wie er in der Sonne glänzt, wenn er deine Haut berührt. Wie er rinnt, und dir all das zurückgibt, was du seinem Träger gabst.

Er ist so wertvoll wie der Schatten des Baumes, der die Frucht trägt, aus dem er entsteht, wenn die Sonne Risse in den Boden zeichnet.

Er ist so wertvoll, wie der erste Biss in eine Dattel während dem Fastenmonat Ramadan, der erste Schluck Milch.

So wertvoll, wie die Berührung des Menschen, den du auf unserer Erde am allermeisten liebst.

Er ist so wertvoll, wie die Träne, die viel zu lange in deinem Auge sass und sich nach dreissig langen Jahren endlich löst.

Sie rinnt deinem Gesicht entlang bis zum Kinn und springt endlich von dir ab.

Sie rinnt, wie der erste Tropfen Olivenöl der Ernte von Onkel Jelloul.“

Beschütze mich vor allem Schlechten

„Der erste Tropfen Olivenöl der Ernte von Onkel Jelloul ist der Wertvollste“, hat mir mein Vater gesagt und mir eine kleine, bauchige Glasflasche überreicht. Als ob es flüssiges Gold wäre, was er mir da im Flugzeug aus dem kleinen Land im Maghreb zurückbrachte. Das Öl hatte schon immer eine besondere Bedeutung für uns, denn wir brauchten es für alles. Für die Haare, für die Haut, als Sonnenschutz, für Suppen, als Medizin einen Esslöffel nach einem unbekömmlichen Essen, weil es deinen Magen beruhigt, glaub mir, das hilft tatsächlich. Als wir noch Kinder waren, machte uns die Hitze noch nicht viel aus und wir rannten in der prallen Mittagssonne bei vierzig Grad zwischen den Olivenbäumen auf Onkel Jellouls Farm umher, nicht einmal die Hunde konnten mit uns mithalten. Onkel Jelloul sass auf einem Pferd, schritt langsam Baum für Baum ab und überprüfte, ob es den Trägern der mediterranen Steinfrucht gut ging.

Die Frucht hat etwas Heiliges, was ich, inspiriert von Heiligenbildern aus verschiedenen Kulturen in meine Arbeit zu übersetzen versuchte. Die überlebensgrosse Darstellung von Gegenständen gibt ihnen etwas Übermenschliches. Der Olivenzweig schwebt über der Landschaft von Beja, die ich aus Stoffresten aus Bern, Paris und Tunis genäht habe, bestehend aus Farben, die ich mit der Abenddämmerung auf Jellouls Farm verbinde. Zusätzlich zu der analogen Textilarbeit habe ich den Olivenzweig dreidimensional digitalisiert, um damit Schutzkarten zu fertigen, die man mitnehmen und bei sich tragen kann, ähnlich wie ein Gebet.

Material und Technik

Wandteppich aus Stoffresten

Laminierte Drucke aus digitalem 3D-Objekt