Hintergrund

Lernende mit besonderem Bildungsbedarf werden in der Schweiz und international zunehmend integrativ in Regelklassen unterrichtet. Im Zuge der Entwicklungen hin zur integrativen Beschulung aller Lernenden haben sich in der Schweiz verschiedene integrative schulische Massnahmen etabliert (siehe InSeMa für eine Übersicht). Die Reduktion individueller Lernziele (RILZ), also eine individuelle Reduktion der Lernziele in einem oder mehreren Fächern mitsamt entsprechenden Anpassungen der Lerninhalte, gehört zu den verbreitetsten dieser Massnahmen in der Schweiz.

Trotz der Bedeutung von RILZ im Schulalltag gibt es bislang kaum Forschung, welche die Vergabe, die Umsetzung sowie die möglichen Auswirkungen von RILZ auf die Bildungsverläufe von Lernenden in den Blick nimmt. Ergebnisse der Berner Längsschnittstudie integrative schulische Massnahmen BELIMA weisen auf eine Reihe benachteiligender Effekte von RILZ hin. Angesichts der hohen pädagogischen, gesellschaftlichen und politischen Relevanz von RILZ ist es unerlässlich, differenzierte Einsichten in die Wirkmechanismen von RILZ zu erlangen, um so einen Beitrag an eine fundierte Grundlage für die Weiterentwicklung von integrativen schulischen Massnahmen zu leisten.

Fragestellung

Der Einsatz der Massnahme RILZ sieht eine Ungleichbehandlung von Lernenden mit besonderem Bildungsbedarf innerhalb von Regelklassen vor. RILZ ist somit als Form der inneren Differenzierung charakterisierbar. Aus der Bildungsforschung ist hinlänglich bekannt, dass Massnahmen der äusseren Differenzierung, wie etwa die Zuweisung zu unterschiedlich anforderungsreichen Schultypen oder Sonderschulen, sozial selektiv sind und Bildungslaufbahnen massgeblich beeinflussen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich ähnliche Mechanismen ebenfalls bei integrativen schulischen Massnahmen wie RILZ zeigen. 

Die Vergabe und Auswirkungen von RILZ werden im Rahmen des Projekts RILZCHECK anhand von fünf aufeinander aufbauenden Fragestellungen analysiert:

  1. Wie verbreitet ist RILZ und wie wird die Massnahme über verschiedene Klassenstufen und Fächer hinweg eingesetzt?
  2. Gibt es systematische Unterschiede bei der Vergabe von RILZ je nach Kanton, Schule, Schulstufe und -klasse?
  3. Erfolgt die Vergabe von RILZ sozial selektiv nach Merkmalen wie dem sozioökonomischen Status, dem Migrationshintergrund oder dem Geschlecht?
  4. Wie wirkt sich der Erhalt von RILZ auf die schulische Leistungsentwicklung von Lernenden aus?
  5. Wie äussert sich RILZ auf die Übergänge in die Sekundarstufe I sowie in nachobligatorische Ausbildungen?

Methodisches Vorgehen

Die Untersuchung der Vergabe und Auswirkungen von RILZ erfolgt beispielhaft anhand der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn, die zusammen den sogenannten Bildungsraum Nordwestschweiz bilden. Seit 2013 werden in diesen Kantonen jährlich standardisierte Leistungstests unter allen Lernenden in verschiedenen Fächern und auf unterschiedlichen Klassenstufen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Leistungstests werden der Forschung als Sekundärdaten, den sogenannten Checks, zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Projekts RILZCHECK werden die Daten der Checks mit Registerdaten aus Beständen des Bundesamtes für Statistik sowie der Zentralen Ausgleichsstelle verknüpft, was eine umfassende Kontextualisierung der Leistungsdaten ermöglicht. Die Fragestellungen des Projekts werden vornehmlich anhand regressionsanalytischer Verfahren untersucht, wobei auch Methoden der kausalen Inferenz und des maschinellen Lernens zur Anwendung kommen.

Projektziele

Das Projekt RILZCHECK zielt darauf ab, neue und fundierte Erkenntnisse zur integrativen Schule im Allgemeinen und zur Massnahme RILZ im Speziellen zu schaffen. Dadurch leistet das Projekt RILZCHECK einerseits einen Beitrag an die Bildungsforschung. Andererseits liefert RILZCHECK Hinweise auf förderliche Umsetzungsbedingungen von RILZ, anhand derer konkrete Empfehlungen zuhanden der Bildungsplanung und Schulpraxis abgeleitet werden können. Nebst wissenschaftlichen Publikationen werden die empirischen Befunde aus RILZCHECK durch Präsentationen, Berichte und andere Formate einem breiten Publikum zugänglich gemacht.