"Wenn es dir gut geht, machst du dich ganz gross!"

Ein Schülerfeedback ermöglicht Lehrpersonen, den Unterricht aus der Perspektive der Schülerin, des Schülers wahrzunehmen. Wo sind die Untiefen, Sandbänke und Klippen, die sich ihnen in den Weg stellen? Wie können Lehrpersonen gezielt ein Feedback auslösen? Ein Gespräch mit Isabelle Krummenacher und Susanne Schwab zu Lehrerinnen- und Schülerfeedbacks. Beide Frauen arbeiten als Dozentin an der PHBern und als Lehrerin an der Volksschule.
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Wir erhalten täglich sehr unterschiedliche Feedbacks – belanglose, aber auch wertschätzende. Was verstehen Sie unter einem positiven Feedback im Schulkontext? 

Isabelle Krummenacher: Ein positives Feedback in der Schule regt zum Denken an. Es gibt den Anstoss, eine schulische Lücke selbstständig aufzuarbeiten. Kürzlich habe ich zwei Knaben an die ihnen bekannte Regel erinnert, auf dem Schulareal nicht Fussball zu spielen. "Wie wollt ihr dies nun wieder gutmachen?", fragte ich sie. Einer von ihnen schlug vor, die Wandtafel zu putzen. "Nein", korrigierte ihn der andere, "eigentlich möchte sie, dass wir selbst merken, wie wir uns verhalten sollten." Die Erkenntnis des Jungen werte ich als sehr positiv.
Susanne Schwab: Ein Feedback soll keine Einbahnstrasse sein, denn es geht dabei oft um ein Nehmen und Geben. Beide Seiten sollen dazu beitragen, in der Sache einen Schritt weiterzukommen und eine Lösung zu finden. Im vorliegenden Fall haben sich beide Jungen überlegt, warum sie nicht spielen dürfen.

In vielen Rückmeldungen, die Lehrpersonen an Schülerinnen und Schüler richten, geht es um Fehler. Welche Optionen gibt es, mit Fehlern anders umzugehen?

Krummenacher: Ein Blatt, das mit Korrekturen übersät ist, wirkt auf eine Schülerin, einen Schüler sehr frustrierend. Besser ist es, der Schülerin, dem Schüler eine Orientierungshilfe, eine Richtung zu geben. Wenn sie oder er das Passé Composé durchwegs falsch bildet, sollten wir ihr oder ihm nochmals die Grundregeln erläutern. Fehler sollten nicht als etwas Schlechtes betrachtet werden. Wenn wir Fehler machen, dann lernen wir. Fehler zeigen uns, wo wir im Lernen gegenwärtig stehen.
Schwab: Ich finde es sehr wichtig, schon bei den jüngeren Kindern im Zyklus 1 eine Fehlerkultur aufzubauen. Drehen wir die Reihenfolge der Buchstaben um, wird aus Fehler ein "Helfer". Als Lehrperson bin ich den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild und zeige ihnen, wie ich mit meinen Fehlern umgehe, zum Beispiel: "Das habe ich vergessen. Ich notiere mir dies."

Wie sollen Fehler konkret verbessert werden? Durch das Abschreiben der richtigen Lösung?

Krummenacher: Nein, andere Formen sind wirksamer. Wichtig ist, reflektiert vorzugehen und ein zielorientiertes Gespräch zu führen. In einem Lerncoaching kann ich mit dem Schüler, der Schülerin eine Standortbestimmung vornehmen: An welchem Punkt steht er oder sie? Welche Fortschritte wurden erzielt? Wohin will er oder sie gehen?

Mit welchen Feedbackformen haben Sie in der Schule besonders gute Erfahrungen gemacht?

Schwab: Zum einen setze ich kleine alltägliche Feedbackformen ein, welche die Basis für eine gute Beziehungs- und Vertrauensebene legen – beispielsweise bei der Rückgabe von korrigierten Aufgaben. In meiner Klasse schaffte es ein Kind, endlich die Hausaufgaben rechtzeitig abzugeben. "Toll, hast du an die Hausaufgaben gedacht und sie in dein Hausaufgaben-Fächli gelegt!", war meine spontane Reaktion. Das Kind soll wissen, dass ich als Lehrerin die Veränderung wahrgenommen habe. Zum andern führe ich gezielte Lerncoachings zu fachlichen oder überfachlichen Themen durch, bei denen ich mir für ein einzelnes Kind bewusst Zeit nehme, auf seine Situation eingehe und ihm Rückmeldungen gebe. Dabei frage ich nach: "Was gefällt dir? Was bereitet dir Mühe? Was hilft dir weiter?"
Krummenacher: Lerncoachings sind im Zyklus 3 sehr ähnlich einsetzbar. Eine gute Variante ist, auf dieser Stufe vermehrt Klassencoachings durchzuführen, bei denen sich die Schülerinnen und Schüler unter Anleitung der Lehrperson in einem Peercoaching gegenseitig Feedback geben. Ratsam ist, verschiedene Auswertungsmethoden wie Zielscheiben oder Lerngespräche situativ einzusetzen. Ergänzend zu den mündlichen Formen lohnt es sich, auch einmal ein schriftliches Feedback durchzuführen, um differenziertere Antworten zu erhalten. Ich denke dabei an Fragen wie: Was ist dir vom letzten Jahr im Gedächtnis geblieben? In was für Situationen konntest du am besten lernen? Welche Ideen zur Verbesserung hast du?

Welche Chancen sehen Sie in Schülerfeedbacks, und wo liegen die Herausforderungen bei der Einführung?

Schwab: Ich erachte Schülerfeedbacks als sehr wichtig für den Unterricht, weil wir dadurch die Sichtweise der Schülerinnen und Schüler erfahren. Es gibt sehr einfache, wenig aufwendige Formen von Schülerfeedbacks. Ideal ist, zeitnah, unmittelbar nach der Lektion, nachzufragen, ob ihnen der Unterricht gefallen hat. Dann können sie je nach ihrer Einschätzung den Daumen hoch oder runter halten. Eine weitere spielerische Form ist, die Bewertung des Unterrichts oder ihres Wohlbefindens durch eine Körperhaltung auszudrücken: "Wenn es dir gut geht, machst du dich ganz gross, wenn nicht, ganz klein." Oder die Kinder stellen sich in einem Line-up auf eine Gerade zwischen eins und zehn und markieren damit, wie viel sie gelernt haben. 
Krummenacher: Im Französisch ist es zum Beispiel essenziell, zu wissen, ob mich die Schülerinnen und Schüler verstehen und ob das Lerntempo angemessen ist. Gewinnbringend sind solche Beobachtungen insbesondere deshalb, weil sie den Lehrpersonen zeigen, wo die blinden Flecken sind. Wer regelmässig Feedbacks durchführen will, sollte darauf achten, diese gut einzuführen und ein offenes Lern- und Unterrichtsklima zu schaffen. Erfahrungsgemäss haben einige Schülerinnen und Schüler zuerst Angst, sich frei zu äussern. Mit der Zeit wird es dann zu einer Selbstverständlichkeit, sich kritisch mit dem Unterricht auseinanderzusetzen.

Für Lehrpersonen ist es nicht so einfach, Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern entgegenzunehmen. Welche Bedeutung haben sie für den Unterricht?

Krummenacher: Da wir nicht in die Köpfe von Menschen hineinsehen können, sind Feedbacks hilfreich für uns. Dabei können die Kinder lernen, dass sie ernst genommen werden. Wir können ihnen aufzeigen, dass wir bereit sind zuzuhören, Fragen zu stellen, damit eine Anpassungsleistung vorgenommen werden kann. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir selbst auch Fehler machen. Wenn wir im Klassenzimmer ein Klima schaffen, das offene Gespräche ermöglicht, wirkt sich dies positiv auf den Unterricht aus. Die meisten Lehrpersonen verfügen über genügend Erfahrung, um die Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler einordnen zu können. Simon Sinek sagte einmal: "When we are closed to ideas, what we hear is criticism. When we are open to criticism, what we get is advice." Feedbacks sind Verbesserungsvorschläge, die wir aufnehmen können und zu Selbstreflexion über unser Handeln führen. Wenn wir die Schülerinnen und Schüler nach ihrem Feedback fragen, zeigen wir ihnen: Ich nehme dich ernst und will dazulernen.

Wie sollen die Rückmeldungen aus einer Feedbackrunde ausgewertet werden?

Schwab: Ich beschränke mich meistens darauf, einzelne Ergebnisse oder die Essenz einer Feedbackrunde zu notieren. Wir machen die Feedbacks letztlich auch, um den eigenen Unterricht weiterzuentwickeln. Wir erkennen dabei, was nicht funktioniert. Aber ebenso bedeutsam ist es, zu wissen, warum wir mit einer Methode Erfolg haben. Auf solchen Erkenntnissen können wir dann aufbauen. Einmal meldete mir ein Schüler in einem Lerncoaching zurück, dass er nicht so lange im Kreis sitzen könne. Von diesem Zeitpunkt an habe ich in meinem Unterricht gezielt darauf Rücksicht genommen.

Was braucht es, um eine gut fundierte Feedbackkultur an einer Schule einzuführen

Krummenacher: Eine Schule sollte sich aufgrund von Fragestellungen überlegen, was sie anstreben will. Welche Feedbackkultur ist für sie wichtig und dienlich? Daraus ergibt sich, mit welchen Formen sie dies erreichen will. In einem 360-Grad-Feedback können nicht nur Lehrpersonen, Schülerinnen, Schüler, sondern auch Eltern und die Schulleitung einbezogen werden.
Schwab: Hilfreich ist, wenn man sich in einer Schule auf einen minimalen Konsens einigt, zum Beispiel auf die Frage: Was bedeutet für uns eine Fehlerkultur? Wenn sich eine Schule gemeinsame Leitlinien gibt, kann sie gezielt die Weiterbildungstage dafür einsetzen.
 

Die Interviewpartnerinnen

Isabelle Krummenacher ist Erziehungswissenschaftlerin und Dozentin an der PHBern. Sie unterrichtet im Zyklus 3 an der Schule Liebefeld.

Susanne Schwab ist ebenfalls Erziehungswissenschaftlerin und Dozentin an der PHBern. Sie unterrichtet im Zyklus 1 an der Schule Wabern.
 

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Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 4.21 von EDUCATION.