Projekt

Ausgangslage

Heutzutage bieten alle Schweizer Kantone sowohl integrative (z.B. integrative Förderung, Nachteilsausgleich, Lernzielreduktion) als auch separative (z.B. Sonderklassen, Sonderschulen) schulische Massnahmen für Schüler*innen mit Behinderungen und Lernbeeinträchtigungen. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG, 2002) und die von der Schweiz im Jahre 2014 ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention (UNO, 2006) fordern die Etablierung und Weiterentwicklung integrativer Schulmodelle. Auch das Sonderpädagogikkonkordat (Schweizerische Konferenz der nationalen Erziehungsdirektoren, 2007), das schweizweit die Ausgestaltung von Massnahmen im Bereich der Sonderpädagogik regelt, fordert den Ausbau integrativer Schulstrukturen.
Entsprechend dieser Grundlagen sind die meisten Schweizer Kantone auf dem Weg in Richtung schulische Integration. In den letzten Jahren wurden zunehmend integrative schulische Massnahmen ausgebaut und weiterentwickelt. Die föderalistische Organisation des schweizerischen Bildungssystems führt hierbei zu einer Vielzahl von verschiedenen integrativen und separativen Massnahmen (Kummer Wyss, 2012). Wie diese Massnahmen genau benannt, umgesetzt und kombiniert werden und welche Kinder welche Art von Massnahme erhalten können, variiert von Kanton zu Kanton und ist für involvierte Personen meist ungenügend transparent einsehbar.
 
Der Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen unterscheidet sich massgeblich je nach Wohnkanton und führt zu Bildungsungleichheiten. Aktuelle Bildungsstatistiken zeigen beispielsweise, dass der Anteil der Schweizer Schüler*innen, die eine Sonderschule oder Sonderklasse besuchen, von Kanton zu Kanton sehr stark variiert (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/neue-veroeffentlichungen.gnpdetail.2020-0054.html). Zudem ist es zurzeit oft schwierig, Informationen über integrative und separative schulische Massnahmen zu erhalten. Aufgrund dieser mangelnden Transparenz kann es für Eltern und/oder Erziehungsberechtigte schwierig sein, sich am Diskurs über die schulische Ausbildung ihrer Kinder zu beteiligen. Dasselbe Problem betrifft auch Personen, die in der Bildungspolitik tätig sind, sowie Schulbehörden und Lehrpersonen. Für interessierte Fachleute erschwert diese Intransparenz, in Verbindung mit den grossen kantonalen Unterschieden bei der Bezeichnung und Umsetzung dieser Massnahmen, die Datenerhebung und -analyse, was die Qualität empirischer Studien beeinträchtigen kann. Es muss für alle Betroffenen und Beteiligten möglich sein, einen Zugang zu nachvollziehbaren Informationen und einer Übersicht zu erhalten. Dadurch wird die Inklusivität oder Exklusivität kantonspezifischer Bildungssysteme vergleichbar.

Projektziele InSeMa – Eine erste Übersicht schaffen

Die nationale Übersicht über verschiedene integrative und separative schulische Massnahmen «InSeMa» ist das erste schweizweite Projekt, das Vergabemechanismen von schulischen Massnahmen in der Sonder- und Heilpädagogik zentriert. Im Projekt InSeMa verfolgen wir das Ziel, einen detaillierten, standardisierten nationalen Überblick über integrative und separative schulische Massnahmen und deren Umsetzung zu geben.
Es wird darauf hingearbeitet eine öffentliche und transparente Plattform in Form einer interaktiven digitalen Landkarte bereitzustellen, welche für Eltern und Erziehungsberechtigte von Kindern mit einer Behinderung, für Forschungsinstitutionen, Personen in der Bildungspolitik ebenso wie für Schulbehörden und Lehrpersonen informativ, niederschwellig zugänglich, verständlich, einfach handzuhaben und übersichtlich dargestellt ist. Um den Ansprüchen der Barrierefreiheit zu genügen, werden die Inhalte der Plattform auch in Textform zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden die zusammengetragenen Informationen im Rahmen einer Publikation zusammengefasst. Dadurch sollen neben dem Zugang zu Informationen (und der geschaffenen Transparenz) Diskussionen rund um Chancengleichheit, Partizipation und Inklusion angeregt werden.

Vorgehen und Kooperation

Im Projekt InSeMa des Forschungsschwerpunkts Inklusive Bildung werden in Zusammenarbeit mit der Stiftung Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik (SZH) die unterschiedlichen Massnahmen zur Schulung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung auf Basis einer nationalen Befragung der kantonal Verantwortlichen erörtert. Die generierten Informationen werden auf einer interaktiven, digitalen Landkarte in Form einer Online-Informationsplattform öffentlich zugänglich gemacht und laufend evaluiert.
 
Das Erstellen der ersten Version dieser nationalen Übersicht erfolgt in mehreren Teilschritten, die voraussichtlich im Frühling/Sommer 2021 abgeschlossen sein werden. Die bisherigen Projektfortschritte erfolgten in einem kooperativen Prozess mit Fachpersonen des Schweizer Zentrums für Heil- und Sonderpädagogik. Dabei entwickelte das Projektteam zunächst einen dreisprachigen Fragebogen (Deutsch, Französisch und Italienisch) für die Erhebung in den Kantonen. Nach einem Pretest mit anschliessender Überarbeitung konnten die kantonal Verantwortlichen für Sonderpädagogik die standardisierten Fragen online beantworten. Ein vorgängig deduktiv entwickeltes Kategoriensystem ermöglichte im Anschluss daran eine sorgfältige Ausarbeitung von Porträts für jeden teilnehmenden Kanton. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Phase war die sorgfältige Validierung der entstandenen Kantonsportraits durch dieselben kantonal verantwortlichen Personen, welche bereits an der Online-Erhebung teilnahmen. Diese Validierung stellte einen zentralen Arbeitsschritt dar, da im Besonderen integrative schulische Massnahmen laufend aktualisiert und hinsichtlich kantonsinterner Richtlinien regelmässig aktualisiert werden.
 
Derzeit (Stand 1. Quartal 2021) sind wir dabei, die interaktive, digitale Landkarte auf der Website des SZHs bereitzustellen. Sie entspricht einer Bestandsaufnahme, die künftig  regelmässig durch die kantonalen Verantwortlichen validiert und aktualisiert werden soll. Parallel zur digitalen Landkarte wird vom Projektteam ein digitales Buch mit rechtlichen Grundlagen sowie weiterführenden Informationen zu integrativen und separativen Massnahmen verfasst. Voraussichtlich werden die digitale Landkarte und das Buch im April 2021 auf der Website des SZH veröffentlicht. Darüber hinaus wurde das Projekt InSeMa bereits an transdisziplinären Tagungen zur Verknüpfung bildungswissenschaftlicher und soziologischer Forschung vorgestellt und weitere Präsentationen sind in Planung. Forschungsfachpersonen der französischen Schweiz bekundeten daraufhin ihr Kooperationsinteresse hinsichtlich der Realisierung der geplanten digitalen Landkarte als mehrsprachige Informationsplattform, wodurch die nationale Übersicht die Sprachregionen erschliessen könnte.